Stellungnahme des Freiburger Friedensforums zum Krieg in Libyen

Stellungnahme Kurzfassung:  PDF

Zur Geschichte Libyens:  PDF

Seit Anfang des Jahres kursieren in der Weltpresse und den anderen Medien Nachrichten über Unruhen und Rebellion in den arabischen Ländern Nordafrikas. Eine junge Demokratiebewegung hat in Tunesien, Ägypten und Jemen die Alleinherrscher dieser Länder mit und ohne Waffengewalt gestürzt und verjagt. Doch noch immer liegt die staatliche Macht vorwiegend in der Hand des Militärs, das bemüht ist, die bürgerliche Freiheit in Grenzen zu halten, auch mit Gewalt. Die Demokratiebewegung hat dort, wie auch in Syrien und Bahrain noch einen weiten Weg vor sich.

Anders ist die Situation in Libyen. Dort herrscht Bürgerkrieg. Bewaffnete Rebellion gegen den Machtapparat der Regierung. Libyen gilt als das drittreichste Land Afrikas (pro-Kopf-Einkommen in US Dollar 2006) nach Äquatorial Guinea und die Seychellen wegen seiner gigantischen Erdöl- und Erdgasvorräte. Diese sind Anlass zum Streit unter den Stammesführern und auch Anlass für das militärische Eingreifen von EU und NATO. Anfang April 2011 erschien zu dem Libyenkonflikt eine ausführliche Studie aus der deutschen Friedensbewegung unter der Autorenschaft von Prof. Andreas Buro, Komitee für Grundrechte und Demokratie, und Clemens Ronnefeldt, Internationaler Versöhnungsbund, deutscher Zweig. Diese abrufbare Analyse mit dem Titel: „Der NATO-Einsatz in Libyen ist (Öl-)interessengeleitet“ blieb in der deutschen Medienwelt weitgehend unerwähnt. Diese griff schnell einseitig Partei zu Gunsten der Rebellen aus primär wirtschaftspolitischen Gründen, obwohl sowohl Täter wie Opfer auf beiden Seiten zu finden sind. Die Stellungnahme des Freiburger Friedensforums bezieht sich weitgehend auf die o.g. Studie, um Aufklärung über Tatbestände und Hintergründe des Konflikts verbreiten zu helfen.

Zunächst noch eine historische Anmerkung: Libyen, das lange zum osmanischen Herrschaftsbereich zählte, wurde nach dem 1. Weltkrieg italienische Kolonie (genannt „Italienisch-Libyen“). Die faschistische Herrschaft unter Mussolini hinterließ blutige Spuren im Land:

„Um den Widerstand zu brechen, befahl der Gouverneur der Kolonie, Marschall Pietro Badoglio, die Rebellen ‚räumlich ganz klar und weit von der unterworfenen Bevölkerung zu trennen‘, auch ‚wenn die ganze Bevölkerung der Kyrenaika dabei zugrunde gehen müßte‘. 100000 Beduinen wurde ihr Vieh geraubt, sie wurden aus ihren Wohnstätten vertrieben und in Konzentrationslager gesperrt. Auf Befehl Badoglios vom 25. Juni 1930 wurden entlang dem Ostufer der Großen Syrte 15 solcher KZs errichtet. Die Insassen waren nicht nur der glühenden Hitze, sondern ebenso Gewalt, Hunger und Seuchen ausgesetzt. Die arbeitsfähigen Männer und Jugendlichen mußten zwangsweise Straßen, Gebäude und Brunnen bauen. Wer nicht in ein KZ gesperrt wurde, hatte sich auf Plantagen als billiger Lohnsklave zu verdingen.

Obwohl die Konzentrationslager Mussolinis nicht mit den Massenvernichtungslagern des Hitlerfaschismus verglichen werden konnten, handelte es sich auch bei ihnen um Todeslager, in denen Völkermord betrieben wurde. Wenn konservative Historiker zum italienischen Faschismus heute meinen, er sei im Vergleich mit dem deutschen weniger grausam, weniger barbarisch und auch nicht so aggressiv gewesen, dann zeigen bereits die Kolonialverbrechen, dass es vom Wesen her zwischen beiden Regimen keine Unterschiede gab.

Die Kolonialmacht förderte das Massensterben durch unerträgliche Haftbedingungen, um Platz für ins Land kommende italienische Siedler zu schaffen. Im größten Lager in Soluq, 60 Kilometer südlich von Benghasi, starben von den 20 000 Insassen 5500. In Sidi Ahmed El-Magrum fanden bis 1933 von 13 050 Inhaftierten 5 550 den Tod. Insgesamt kamen in den Konzentrationslagern rund 40 000 Menschen, ein Viertel der Einwohner, ums Leben. Die meisten der Todesopfer waren Zivilsten. Hinzu kamen 6 500 Partisanen, die seit 1923 in den Kämpfen gegen die kolonialen Eroberer den Tod fanden.“

Gerhard Feldbauer: „Brutale Herrenmenschen: Im Juni 1930 ließ Mussolini in Libyen Konzentrationslager errichten“

Als Italien im Sommer 1940 an der Seite Deutschlands in den 2. Weltkrieg marschierte und Libyen von der deutschen Wehrmacht besetzt wurde, wurde das Land zum Schlachtfeld zwischen deutschen und britischen Truppen, die in Ägypten stationiert waren, bis US-Truppen 1943 von Tunesien aus das Land besetzten und die faschistische Ära damit beendeten.

Später wurde das Reich von König Idris nach Gaddafis Revolution eine autoritär gelenkte Republik. Spitzeltätigkeiten waren weit verbreitet. Zwischen 1980 und 1987 wurden mindestens 25 Attentate an Kritiker in der ganzen Welt verübt (Amnesty International). Frauen werden heute noch oft wie Minderjährige behandelt und stehen unter der Vormundschaft der männlichen Angehörigen. Es gibt kein Gesetz gegen häuslichen Gewalt.

Im Gefolge der friedlichen Revolte in Tunesien und Ägypten kam es im März 2011 zum bewaffneten Aufstand gegen das Gaddafi-Regime.

Zu Tätern und Opfern: In den westlichen Medien wurde ausschließlich auf die Gefahr von Massakern der Gaddafi-Truppen an der Zivilbevölkerung der Rebellenhochburgen hingewiesen, was auch Anlass für die Sicherheitsresolution 1973 zum Schutz der Zivilbevölkerung war. Der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navy Pillay, berichtete von Massenmorde der Gaddafi-Truppen im Februar 2011: „Straßenzüge wurden abgeriegelt, damit keiner fliehen kann. Dann wurden die Menschen von den Dächern aus beschossen.“ Der Journalist und Dokumentarfilmer Farai Sevenzo aus Zimbabwe schrieb: „Weil vermutlich Söldner aus dem Tschad und Mali für ihn [Gaddafi] kämpfen, sind eine Million afrikanischer Flüchtlinge und Tausende afrikanischer Wanderarbeiter in Gefahr ermordet zu werden.“ Nach UN-Angaben sind etwa 200.000 afrikanische Flüchtlinge an der libysch-ägyptischen Grenze und weitere 100.000 an der libysch-tunesischen Grenze gestrandet. Auf beiden Seiten des Bürgerkriegs gab und gibt es schwere Menschenrechtsverletzungen, die eine einseitige Parteinahme verbieten. Beide Seiten sollen beispielsweise Streubomben eingesetzt haben. Bisher nicht einzuschätzen ist die Zahl der Opfer von Bombenangriffen des NATO- und EU-Militärs auf Tripolis und Umgebung. Die Androhung internationaler Gerichtsbarkeit richtet sich hingegen ausschließlich gegen Gaddafi und seine Anhänger.

Zur aufständischen Oppositionen in Libyen: Die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik berichtete, der entscheidende Impuls zum Aufstand sei von „unorganisierten Kräften“ ausgegangen, die Polizeistationen und Amtsgebäude überfallen und in Brand gesetzt hätten. In der Opposition verfügt allein die Muslimbruderschaft über eine beständige Organisation. Die eigentlich tragende Kräfte des bewaffneten Aufstandes seien Stämme vor allem im Osten des Landes, sowie emigrierte ehemalige Militärs und Politiker des Landes. Die Stiftung bilanziert: Für die Mehrheit der Akteure in der Opposition gehe es nicht um die Grundlagen des libyschen Staates, sondern um die Neuverteilung der Ressourcen des Landes. Die NATO-Staaten haben sich bereits auf 2 neue Politiker einer Gegenregierung festgelegt: Mahmud Dschibril und Ali Tarhuni, beide langjährig in der USA ausgebildet und tätig. Sie treten für ein stärkeres Engagement der USA in Libyen ein und für eine neoliberale Wirtschaftsordnung:

„Mahmoud Dschibril war längere Zeit als Experte für “strategisches Planen” in den USA tätig. Er beriet auch die Regierungen in Ägypten, Tunesien und Saudi-Arabien in Wirtschaftsfragen und ging 2007 nach Libyen, um Gaddafi beim Umstieg von der Staatswirtschaft zur Privatisierung von Unternehmen zu helfen. Ausschlaggebend waren dabei seine Kontakte zu US-amerikanischen und britischen Konzernen. WikiLeaks veröffentlichte Depeschen der US-Botschaft, in denen Dschibril bereits im November 2008 die USA zu Direktinvestitionen und einem stärkeren Engagement in Libyen ermunterte.

Es verwundert deshalb kaum, dass Dschibril nun in ähnlicher Funktion bei einer anderen Firma sein Glück versucht. So ernannte Dschibril den “Superwirtschaftsminister” Ali Tarhuni, der nach Angaben der FAZ vom 30.03.2011 als eine seiner ersten Amtshandlungen einen Vertrag mit der Quatar Petroleum Company unterzeichnete, um “das Rohöl des freien Libyens zu vermarkten”. “[D]ie Ölfelder unter der Kontrolle der Rebellen [produzieren] 130 000 Barrel (à 159 Liter) am Tag, sagt Tarhuni. Das könne rasch auf 300 000 Barrel gesteigert werden.

Libyen: Kriegslügen und die Erosion des Völkerrechts

Von Kamil Majchrzak

Zu den politischen und wirtschaftlichen Interessen des Westens: Viele Jahre galt Libyen für den Westen als Terrorstaat, in dem Sprengstoffattentate auf zivile Einrichtungen im Ausland und auf Flugzeuge geplant wurden. Im Jahr 1999 bekannte sich Gaddafi jedoch zur Schuld Libyens an dem Anschlag auf Pan-American-Flug 103 von 1988 über der schottischen Stadt Lockerbie; er lieferte die Attentäter aus und ließ den Hinterbliebenen der Opfer eine hohe Entschädigung zahlen, woraufhin die Sanktionen gegen Libyen wieder ausgesetzt wurden. So arrangierte sich der Westen allmählich mit der Gaddafi-Regierung. In erster Linie ging es um Erdöl- und Erdgasexporte, von denen 70 % an die EU gingen. Libyen wurde zum systemrelevanten Energieversorger Europas. Als Gegenleistung wurde das Land vor allem aus Frankreich und Deutschland mit modernsten Waffen beliefert, ein lukratives Rüstungsgeschäft. Im Auftrag und in Absprache mit anderen EU-Ländern vor allem Deutschlands schloss Italiens Premier Berlusconi Verträge mit Gaddafi zur Abwehr von Flüchtlingsströmen aus Afrika nach Europa. Gaddafi ließ in Nordafrika große Sperranlagen und Flüchtlingslager errichten, die auch dem Zwischenaufenthalt von Abgeschobenen aus Europa dienten. Hunger, Folter, Morde und Selbstmorde waren in diesen Lagern Alltag.

Nachdem Gaddafi 2009 eine in Libyen operierende kanadische Ölfirma enteignet und verstaatlicht hatte, wuchs der Zweifel an der Sicherheit westlicher Investitionen in Libyen und an sicheren Exportquoten von Öl und Gas nach Europa. Verhandlungen Gaddafis mit Russland, China und Indien über Öl- und Erdgasexporte vergrößerte die Unsicherheit der Europäer. Der neue Krieg gegen Gaddafi ist nun wieder ein Riesengeschäft für westliche Rüstungskonzerne.

Zur Rolle von Geheimdiensten: Schon im Frühjahr 2011 berichteten deutsche und andere westliche Medien über Tätigkeiten der CIA und anderer Geheimdienste in den Hochburgen der Libyschen Opposition in Sachen Lieferung von und Ausbildung an Waffen. Auch britische und US-Boden-Spezialtruppen sollen die NATO mit Zielinformationen von Libyen aus versorgt haben und weiter versorgen.

Zum Thema Alternativen zum Krieg: Es gab verschiedene internationale Initiativen, die sich um eine Verhandlungslösung im libyschen Bürgerkrieg bemühten. Anfang März 2011 führte die Arabische Liga unter Beteiligung der venezuelanischen Regierung Verhandlungen für einen Friedensplan. Es gab einen Friedensplan der türkischen Regierung, der mit US-Präsident Obama abgestimmt war. Er enthielt eine konkrete Agenda für den Aufbau neuer demokratischer Strukturen im Lande verbunden mit einem Rückzug für die libysche Regierung ohne Gesichtsverlust, das alles unter UN-Beobachtung. Noch kurz nach der UN-Sicherheitsrats-Resolution zur Überwachung des libyschen Luftraums bemühte sich die Afrikanische Union (AU) um eine Verhandlungslösung. Am Verhandlungstisch saßen neben AU-Vertretern, Vertreter der Arabischen Liga, der Konferenz islamischer Staaten, der UN, der EU und der libyschen Regierung. Die Rebellen hatten die Teilnahme verweigert. Dann ließ der französische Präsident Sarkozy alle Friedenshoffnungen zerbomben. Er war zusammen mit dem britischen Premier Cameron der Initiator des Kriegs, dessen Fortsetzung nun die NATO anführt. Die Frage bleibt, warum hat sich der Westen, EU und USA einer Vermittlerrolle verweigert. Deutschland hat sich bei der genannten Sicherheitsratsresolution der Stimme enthalten, danach aber die Kriegseinsätze verbal gerechtfertigt und der NATO Kompensationsleistungen, z.B. in Afghanistan angeboten. Vermutlich ist die deutsche Stimmenthaltung der Inlandsstrategie der Koalitionsregierung im Wahlkampfjahr 2011 zuzurechnen. Diese Annahme macht deutlich, dass es immerhin Hemmungen bei deutschen Regierungsvertretern gibt, neue Kriege gegen den Willen des eigenen Volkes zu riskieren.

Die Folgen des neuen NATO-Krieges für Afrika, den nahen und mittleren Osten und Europa sind unabsehbar. Es ist zu hoffen, dass in nächster Zeit mehr unterdrückte bzw. nicht recherchierte Nachrichten über die Fakten von Kriegsvorbereitung und Kriegsführung an die Öffentlichkeit gelangen werden. Jede militärisch orientierte Parteinahme von außen an Bürgerkriegen in anderen Ländern führt zur Verhärtung der Fronten und verschiebt die Hoffnung auf Frieden ins Aussichtslose. Dafür kann es keine humanitäre Begründung geben.

Die deutsche Friedensbewegung wendet sich mit aller Entschiedenheit gegen jede Anwendung militärischer Gewalt zur Erreichung politischer und wirtschaftlicher Ziele. Gefragt sind nun massive Protestveranstaltungen in allen großen europäischen Städten, die ebenfalls ohne Gewaltanwendung verlaufen müssen. Der Druck aus der Bevölkerung auf die Regierungen, die Kriege zu stoppen, muss wachsen.

Krieg ist keine Lösung, sondern nur eine von Menschen verursachte Katastrophe.

Alternativen sind möglich!

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