Das Engagement der EU-Staaten in Afrika knüpft offensichtlich an die historische Kolonialpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts an. Wie damals geht es um die Ausbeutung und mlitärische Absicherung der Ressourcen des afrikanischen Kontinents für die europäische Wirtschaft. Damals standen die europäischen Staaten mit ihren Kolonien in gegenseitiger Konkurrenz, heute wolle sie an einem Strang ziehen. Im neuen Kolonialismus kommt die gewaltsame Öffnung der afrikanischen Märkte für europäische Exportgüter hinzu, die zur Zerstörung der afrikanischen Märkte führt, zur Zerstörung der einheimischen Landwirtschaft und zu neuen Hungersnöten. Das wiederum führt zu verstärktem Migrationsdruck innerhalb des Kontinents und nach Europa.
Freiburger Friedensforum
Stühlingerstr. 7, 79106 Freiburg
Juni 2006
Information zum Kongoeinsatz der Bundeswehr
1. Zur Geschichte des Kongo
1960 wurde der Kongo in die Unabhängigkeit entlassen. Bis dahin stand dieses Gebiet unter belgischer Kolonialverwaltung, galt als Privatbesitz des belgischen Königs. Kurz nach Ausrufung der Unabhängigkeit gab es mehrere belgische Militäraktionen wegen so genannter Unruheherde und Furcht der weißen Siedler vor Übergriffen der Einheimischen. Im Sommer 1960 wurde Patrice Lumumba, der Führer der nationalen Unabhängigkeitsbewegung zum Regierungschef gewählt und wegen der sozialistischen Regierungsprogramme auf Betreiben westlicher Geheimdienste gestürzt und im Januar 1961 unter den Augen von UN-Soldaten als Gefangener erschossen.
1960-63 kam es zur Sezession der an Bodenschätzen reichen Provinz Katanga. 1965 gelangte der vom Westen unterstützte General Mobutu mit einem Putsch an die Macht und regierte 32 Jahre als Diktator das Land und öffnete das Land der wirtschaftlichen Ausbeutung durch westliche Konzerne. Der schwer kranke Mobutu wurde 1997 durch Kabila Senior gestürzt. Gleichzeitig begann der Bürgerkrieg, an dem sich auch andere afrikanische Staaten beteiligten, wie Uganda und Ruanda.
Die herrschenden Warlords bereicherten sich an dem Export der Reichtümer des Landes und überließen die Bevölkerung dem Terror und den Plünderungen durch ihre Milizen, ein Zustand, der das Land bis heute zeichnet.
Nach der Ermordung von Kabila Senior übernahm Kabila Junior die Regierung. Nachdem 2002 Uganda und Ruanda ihre Armeen offiziell zurückzogen, wurde auf Betreiben der UN eine Übergangsverfassung verabschiedet, über die 2005 in freien Wahlen entschieden werden sollte. Die Kabila Regierung und die herrschenden Warlords zeigten sich an Neuwahlen wenig interessiert und verzögerten die Wahlvorbereitungen bis heute. Im Juli 2006 läuft das Ultimatum für die Übergangsverfassung aus, sodass die Neuwahlen zwingend werden.
Der Hauptgegner des Kabila Regimes ist die UPDS (Union für Demokratie und sozialen Fortschritt), die nicht an den militärischen Auseinandersetzungen im Land beteiligt ist. Auf Anforderung Kofi Annans (UN-Generalsekretär) werden nun EU-Kampftruppen unter deutscher Führung (Generalstab in Potsdam) in die DRC (Demokratische Republik Kongo) entsandt, um, wie es heißt, erfolgreiche Wahlen zu gewährleisten.
Nach Meinung von Landeskennern wird das Wahlvorhaben die EU in ein Dilemma führen: Entweder das EU-Militär versucht das Wahlergebnis gegen die Wahlverlierer durchzusetzen, was zu blutigen Auseinandersetzungen führen wird, oder sie versucht das gegenwärtige System gegen den Wählerwillen zu stabilisieren, was im Interesse westlicher Wirtschaftsverbände sein dürfte. Widerspricht die alte oder neue Regierung diesen Interessen, d.h. dem wirtschaftlichen Anpassungs- und Ausbeutungsprogramm, muss sie wieder destabilisiert werden, um neue Eliten aufzubauen, was zu neuen bewaffneten Konflikten führen wird. Im Interesse der Sicherheit (der wirtschaftlichen Ausbeutung) wird so eine Dauerstationierung europäischer Truppen programmiert. Dies dürfte auch im Interesse europäischer Regierungen liegen, die die Vollbeschäftigung der US-Armee im Irak nutzen wollen, Afrika wieder zur europäischen Domäne zu machen.
2. Die gegenwärtige Lage im Kongo
Im Kongo sollen nun die ersten Wahlen seit 45 Jahren stattfinden. 25,6 von 28 Millionen wahlberechtigte Menschen haben sich registrieren lassen – die MONUC soll die 53 000 Wahllokale mit Personal und Material versorgen. Elf der registrierten Parteien haben jedoch angekündigt, die Wahlen boykottieren zu wollen. Die wichtigste Oppositionspartei UDPS (Union pour la Demokratie et le Progrès Social) ist nicht registriert und ruft zum Boykott auf. Die UDPS wollte einen längeren Prozess, verbunden mit einer Volkszählung, dann lokale Wahlen, Regionalwahlen, Legislativwahlen und schließlich Präsidialwahlen. Mehrere Kandidaten sagen, Kabila sei Ruander und daher nicht wählbar. Die Katholische Kirche im Kongo, die von vielen als die best funktionierende Institution des Landes gesehen wird, möchte im Vorfeld der Wahl mehr Verhandlungen führen um die Ereignisse nach der Wahl besser steuern zu können.
MUNOC Leiter William Swing behauptet jedoch, den Zeitpunkt der Wahl nicht verschieben zu können, da niemand die damit entstehenden Kosten tragen würde. 400 Millionen Dollar sind von der internationalen Gemeinschaft bereits gespendet worden.
UDPS Führer Etienne Tshisekedi, 74 Jahre alt, war unter Mobutu oft inhaftiert und gefoltert worden. Kabila hat ihn 1998 für 6 Monate ins Exil geschickt. Er gilt als integer – hat nie mit Waffen gekämpft oder sich mit Milizen verbunden.
UDPS Präsident Valentin Mubake erklärte in einem Interview mit IRIN, eine humanitäre Nachrichtenagentur die über die Subsahara berichtet, dass von den 175 000 Soldaten, die demobilisiert werden sollten, bzw. in einer Gesamtarmee integriert werden sollten, nur 50 000 erfasst worden sind. Der Rest gehört immer noch den Warlords, die zum Teil auch jetzt Vize-Präsidenten und sogar den Präsidenten selbst sind. Eine Miliz aus Ruanda hat in Katanga immer noch 15 000 Soldaten.
3. Die Interessen Deutschlands und der EU
Der Staatssekretär im deutschen Verteidigungsministerium Friedbert Pflüger hat die Interessen der EU ganz unmissverständlich artikuliert: „Weil Europa“¦zunehmend Energie aus anderen Regionen importieren muss, muss dem afrikanischen Ölreichtum“¦mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden“. Auch viele andere Bodenschätze Afrikas, besonders im Kongo, sind im Interesse westlicher Konzerne, wie z.B. Tantal für die Produktion des größten europäischen Handyherstellers Nokia-Siemens. Der Ausbeutung bzw. Marktöffnung und Marktanpassung kann mit militärischem Druck nachgeholfen werden. Zur Verteidi-gungsdoktrin der EU gehört: zerfallende Staaten, politische Instabilität, Ordnungslosigkeit und Armut in aller Welt, so wie in Afrika, stellen eine Bedrohung für die EU dar. Sicherheit, gemeint funktionierende Staatlichkeit, ist Vorraussetzung für wirtschaftliche Tätigkeit, d.h. für Investitionen. Sicherheit und politische Stabilität sollen mit EU-Militäreinsätzen exportiert werden. Zur Unterstützung ihrer militärischen Aktionen finanziert die EU die Ausbildung, Bewaffnung und Organisation afrikanischer Hilfstruppen aus den Fonds für Entwicklungshilfe! Anstatt Hilfe zur Selbsthilfe zu organisieren, also faire Entwicklungschancen bei fairem Handel, Bildung, Gesundheit, soziale Sicherheit und landeseigene Ernährungsversorgung in den zu unterstützenden Ländern zu organisieren, unterstützt sogar das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, Privatisierung und Deregulierung, um die Märkte für europäische Produkte und Dienstleistungen zu öffnen: Entwicklungshilfe für europäische Konzerne.
4. Vorbereitende Massnahmen im Kongo für EU-militärische Interventionen
Seit 1999 gibt es die UN-Mission MONUC in Afrika, die zivil und militärisch für Sicherheit sorgen soll und finanziell von der EU unterstützt wird. Vor der jetzt durchgeführten Truppenentsendung der EU in den Kongo, gab es mehrere vorbereitende Manöver im Land:
– Manöver „Artemis“ Sommer 2003 als Antwort auf angebliche Massaker in der Provinz Ituri, mit französischen Truppen in der Provinzhauptstadt Bunia, Bundeswehreinsatzreserve in Entebbe (Uganda), EU-Aufklärungsflüge vom Tschad aus. Nach drei Monaten wieder Abzug der EU-Truppen, Kontrollübernahme durch MONUC. Der Einsatz blieb ohne erkennbare Folgen, wurde aber gefeiert als „Bewährung europäischer Sicherheitsstrategie“.
– Mission EUPOL Kinshasa Dezember 2004: Schutzaktion für Regierung und Behörden mit Unterstützung der afrikanischen Sondereinheit IPU. Finanzierung der Mission mit EU-Entwicklungsgeldern.
– EUSEC DRC (Demokratische Republik Kongo). Polizeimission Mai 2005. Die Aktion erprobte die Unterstützung der Kabila-Regierung. Diverse Milizen wurden dabei in die reguläre Armee eingegliedert. EU-Militärexperten leiteten das Unternehmen im Kongo-Verteidigungsministerium, im Kongo- Generalstab, in der nationalen Kommission zur Demobilisierung.
Wichtig für alle 3 EU-Manöver war die Zusammenarbeit mit Behörden und der Regierung des Kongo also mit den dortigen Machthabern. Wie neutral wird sich die EU verhalten bei der anstehenden Wahl?
5. Weitere EU-Militäreinsätze in Afrika
Der nächste Militäreinsatz ist für den Sudan vorgesehen. Das Hauptinteresse der EU richtet sich auf die vorhandenen und neu entdeckten Erdölvorkommen im Südsudan. Nach dem Waffenstillstandsabkommen zwischen der Regierung in Khartum und den Rebellen im Süden wurden deutsche Firmen mit Planung und Bau von Schienennetzen, Straßen und Pipelines beauftragt (Hermes-Kredite), mit deren Hilfe der Ölexport von der Khartum-Regierung unabhängig werden soll. Die geplante Volksabstimmung im Südsudan zur Unabhängigkeit soll zur Trennung vom Norden und der Khartum-Regierung führen. Die neuen Öltransportwege sollen der EU-Wirtschaft zugute kommen, mit der Abkoppelung des Nordens die Öllieferungen an China und Russland gebremst werden.
Die unübersichtliche Menschrechtslage in der Provinz Dafur, in der regierungsnahe Milizen und Rebellen aus dem Süden die Flüchtlingslager terrorisieren, macht nach Aussage des Staatsministers im Auswärtigen Amt Erler den humanitären Einsatz von 20 – 30.000 Soldaten im UN-Auftrag notwendig.
6. Resümee und Alternativen
Soweit die Analyse der Geschehnisse im Kongo, die nun zu verstärktem Einsatz von EU-Soldaten im Kongo führt. Das Engagement der EU-Staaten in Afrika knüpft offensichtlich an die historische Kolonialpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts an. Wie damals geht es um die Ausbeutung und mlitärische Absicherung der Ressourcen des afrikanischen Kontinents für die europäische Wirtschaft. Damals standen die europäischen Staaten mit ihren Kolonien in gegenseitiger Konkurrenz, heute wolle sie an einem Strang ziehen. Im neuen Kolonialismus kommt die gewaltsame Öffnung der afrikanischen Märkte für europäische Exportgüter hinzu, die zur Zerstörung der afrikanischen Märkte führt, zur Zerstörung der einheimischen Landwirtschaft und zu neuen Hungersnöten. Das wiederum führt zu verstärktem Migrationsdruck innerhalb des Kontinents und nach Europa. Erklärtermaßen soll EU-Militär vor Ort die Migration vor allem nach Europa stoppen. Mit neoliberaler Politik und Militarisierung will EU-Europa zur Weltmacht aufrücken. Neoliberalismus und Militarisierung sind 2 Seiten der gleichen Medaille. Das neue „Ethos“ heißt: Recht hat der Stärkere, sowohl der finanziell wie militärisch Stärkere. Diese Ideologie entfaltet immense Zerstörungskraft auf die Gesellschaften nach außen, und wie längst bei uns spürbar, auch nach innen. EU-Europa marschiert in weltweite Krisen und Kriege.
Die Regierenden behaupten unisono mit den Konzernen: zu Globalisierung und Neoliberalismus gäbe es keine Alternative. Friedens- und soziale Bewegungen erkennen die gepredigte Alternativlosigkeit nicht an. Seit Porto Alegre heißt das Motto aller Weltsozialforen: „Eine andere Welt ist möglich“. Die Macht der Stärkeren darf nicht zum Gesetz der globalen Entwicklung werden, sondern Gleichheit und Solidarität unter Gleichen. Das gilt für kleine, große und die Weltgesellschaft, muss zur Leitlinie aller Politik werden. In solchen Gesellschaften und damit in der Weltgesellschaft darf ökonomische Vorherrschaft ebenso wie Krieg keinen Platz mehr haben. Darin sind sich Friedens- und soziale Bewegungen einig: Eine andere, menschlichere Welt ist möglich, in der Achtung der Menschenrechte und Achtung vor allem Leben oberstes Gebot ist.
Das Freiburger Friedensforum ruft alle BürgerInnen dazu auf: Leistet Widerstand gegen die menschenverachtende neue Kolonial- und Kriegspolitik, deren Folgen auf uns alle zurückschlagen werden, wie unsere Geschichte uns gelehrt hat.
Quelle u.a.: “Welt-Macht Europa: Auf dem Weg in weltweite Kriege“, Tobias Pflüger und Jürgen Wagner (VSA-Verlag)