Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt und Freiburger Bundestagsabgeordneter, hat ein neues Buch geschrieben „Mission Weltfrieden – Deutschlands neue Rolle in der Weltpolitik“, ein sehr anspruchsvoller Titel für einen Bericht über deutsche Außenpolitik von 1998 bis heute. Bekanntlich war Deutschland in dieser Zeit in 3 große Kriege verwickelt, von denen nur einer bisher beendet wurde. Außerdem gab es viele andere bewaffnete Bundeswehr Einsätze außerhalb Europas. Die Podiumsdiskussion am 24. April in der Aula der Freiburger Universität soll die im Buch aufgeworfenen Fragen zur Diskussion stellen.
Das Buch hat 5 große Kapitel
I. „Das erzwungene Umdenken“ enthält den Rückblick auf die Jahre 1945 – 1998 und die deutsche Außenpolitik in der rot-grünen Koalition und der jetzigen rot-schwarzen, in deren Zeit der Krieg gegen Jugoslawien 1999, der Afghanistankrieg seit 2001 und der Irakkrieg seit 2003 fallen.
II. „Die neue deutsche Außenpolitik: Konzepte und Instrumente“ mit den Themen zivile Friedensdienste, Krisenprävention, Friedensforschung, Menschrechte, Entwicklungspolitik, Restriktionen für Waffenexport, Hilfe für die UN
III. „Partner in der Weltpolitik“. Gemeint ist die Kooperation von EU-Ländern mit den USA, Russland und China
IV. „Friedensmissionen und Strategien im Praxistest“ am Beispiel Afghanistan, Iran, Nahost und Zentralasien
V. „Globale Verantwortungsgemeinschaft“ mit dem Thema globale Sicherheit, Klimawandel und die Folgen wie Hungerkatastrophen, Wassermangel, Migration und das Thema weltweite Abrüstung.
Das Buch hat lesenswerte Abschnitte z.B. zur postsowjetischen Geschichte Russlands in Kap. III und zu den ehemals zur UdSSR gehörenden Zentralasiatischen Staaten, die der Verfasser in politischem Auftrag mehrfach besucht hat, in Kap. IV. Dagegen fordert Kap. I fast durchweg scharfen Widerspruch heraus wegen lückenhafter und auch falscher Dar-stellungen insbesondere der kriegerischen Ereignisse und ihrer Bewertung. Das gilt aller-dings auch für Teile des Kap. III, das Nachfragen erfordert zum Kaukasuskrieg 2008 mit seinen Folgen und in Bezug auf die Befürwortung einer rein wirtschaftlich orientierten Politik gegenüber China und die Ablehnung einer so genannten werteorientierten Politik, die sich für Menschenrechte und das Völkerrecht einsetzt. Das Kap. II schreckt vor keiner Schönfärberei zurück und nimmt viele friedenspolitische Initiativen von regierungsfernen Gruppierungen für offizielle Außenpolitik in Anspruch. Dies gilt für die Zivilen Friedens-dienste und Menschenrechtsinitiativen, wie für Friedensforschung und für die Entwick-lungspolitik, die zum größeren Teil von regierungsunabhängigen Organisationen betrieben wird. Unerwähnt und nicht entschuldbar bleiben die skandalösen Menschenrechtsverstöße in der amtlichen deutschen Asylpolitik. Unglaubhaft sind auch Erlers Bemühungen, die deutsche Waffenexportpolitik als restriktiv darzustellen, hat doch das vergleichsweise kleine Deutschland es zum drittgrößten Waffenexporteur auf dem Globus gebracht. Seit langem gilt: Deutsche Waffen morden mit in aller Welt, d.h. in fast allen Kriegen und Bürgerkriegen in der Welt. Erler rühmt das deutsche Engagement für die Vereinten Nationen und meint, die neue Rolle Deutschlands in der Weltpolitik berechtige zu dem Anspruch auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat. Für notwendig erachtet er auch eine Änderung im Völkerrecht, mit der die Verantwortung zum Schutz der Menschenrechte in allen Ländern für die Weltgemeinschaft zur Pflicht erhoben wird. Mit dem Begriff „Responsibility to protect“ (R2P) sollen auch Militärinterventionen gerechtfertigt werden gegen Länder, in denen die Achtung der Menschenrechte nicht gewährleistet ist. Mit diesem neuen Gesetz im Völkerrecht würde der NATO-Krieg gegen Jugoslawien sozusagen nachträglich völkerrechtlich legitimiert werden. Im Kap. V wird angesichts drohender ökologischer Katastrophen die Zusammenarbeit aller Staaten in einer globalen Verantwortungsgesellschaft gefordert. Erler sieht Deutschland dabei als Vorreiter. Der Klimawandel wird als Hauptursache für Hunger, Wassermangel, Ressourcenknappheit, Teuerung und Migration angesehen. Übersehen werden von Erler die Folgen des Wirtschaftsimperialismus vor allem der westlichen Industrieländer, die mit Hilfe von einseitigen Handelshemmnissen und Exportsubventionen außereuropäische Märkte ruinieren und auch vor militärischen Interventionen zur Sicherung der Ressourcen für ihre Wirtschaft nicht zurückschrecken. Erler bedauert das Scheitern der Doha-Runde zu Gunsten des freien Welthandels, der die wirtschaftlich Starken gegenüber den Schwachen begünstigt und damit weltweite gerechte Güterverteilung verhindert. Richtig ist allerdings, dass gegen die Folgen des Klimawandels weltweit Kooperation stattfinden muss oder besser gesagt, internationale Solidarität erforderlich ist, ein Begriff, den Erler strikt vermeidet. Globale Zusammenarbeit ist allerdings auch erforderlich für eine weltweite Abrüstung einschließlich aller Massenvernichtungswaffen. Weltweite Abrüstung und Ächtung aller Kriege ist zweifellos unumgänglich, wenn man die Menschheit und mit ihr alles Leben vor einer finalen Katastrophe bewahren will.
Damit kommen wir zurück zu der unserer Meinung nach entscheidenden Kritik an Erlers Buch, in dem Kriegshandlungen als Friedensmissionen verkauft werden. Erler bedauert, die 3 großen Kriege, der NATO-Krieg gegen Jugoslawien, der NATO-Krieg in Afghanistan und die US-geführte Irakinvasion hätten den Blick in der Öffentlichkeit auf die wahren politischen Ziele deutscher Außenpolitik seit 1999 verstellt.
Als Gründe für die deutsche Teilnahme am Krieg gegen Jugoslawien nennt Erler die Bündnistreue zur NATO, die Glaubwürdigkeit der Drohkulisse gegenüber Milosevic und die bekannten Argumente der Minister Fischer und Scharping, die die Notwendigkeit militärischen Eingreifens mit einem drohenden Völkermord legitimierten. Es fehlt jeder Hinweis von ihm auf die offizielle Begründung der US-Politik für den Krieg, nach der die Installation von US-Militärstützpunkten auf dem Balkan Grundlage zukünftiger Machter-weiterung gen Osten sein sollte. Es kommt auch nicht zur Sprache, dass dieser Krieg nicht nur ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg und die Teilnahme daran ein Verfassungsbruch der deutschen Politiker darstellte, sondern dass die gezielten NATO-Bombardements auf Jugoslawiens Städte mit vielen tausend ziviler Opfer ein schweres Kriegsverbrechen waren.
Gründe für die deutsche Beteiligung am Afghanistankrieg sind nach Erler die Bündnis-pflicht gegenüber den von außen attackierten USA, die verweigerte Auslieferung Bin Ladens durch die Talibanregierung und die weltweite Bedrohung durch islamistischen Terrorismus, dessen wichtigste Zentrale anscheinend auch heute noch in Afghanistan vermutet wird. Der NATO-Krieg dauert jetzt fast 8 Jahre. Auch Erler spricht von schweren Rückschlägen nach anfänglichen Erfolgen und von der sich wieder verbreitenden Herr-schaft der Taliban und deren Unterstützung durch pakistanische Stämme und auch durch wachsende Teile der afghanischen Bevölkerung. Erler spricht von bedauerlichen Kolateralschäden durch die NATO-Kriegsführung, die die Bevölkerung den Taliban in die Arme treiben, meint auch, dass zivile Hilfe verstärkt werden muss aber „leider“ auch die Besatzungsarmee. Erler hält den Afghanistaneinsatz für „eine nicht aufgebbare Mission“, wörtlich: „Der Hauptgrund, weshalb ein Scheitern ausgeschlossen ist, führt auf den Ausgangspunkt (des Krieges) der Afghanistan-Mission zurück. Die Rückkehr der Taliban böte dem international agierenden Netzwerkterrorismus einen sicheren Hafen, von dem er ungestört seine Attacken quer über den Globus vorbereiten könnte.“ „Das logische Ziel muss sein, die neue afghanische Gesellschaft mit ihrer gewählten Führung in die Lage zu versetzen, sich selbst zu verteidigen“. An anderer Stelle führt Erler jedoch aus, die afghanische Gesellschaft habe keine demokratische aber auch keine nationalstaatliche Tradition, sei immer geprägt gewesen, von autark beherrschten Stammesgebieten, die miteinander in Fehde lagen. Einigungstendenzen hätte es immer nur im Kampf gegen Fremdherrschaft gegeben. Erler hat Verständnis für die Führung in Kabul mit deren Vorschlag, man sollte mit den Taliban sprechen, sieht aber selbst keine Verhandlungs-lösung und setzt also auf militärische Stärke. Alle Kenner Afghanistans und Kritiker der so genannten NATO-Friedensmission sehen, dass diese Politik in die Sackgasse führen muss. Es ist zu hoffen und zu erwarten, dass die Podiumsdiskussion zum „Praxistest Afghanistan“ konträre Meinungen aufeinander prallen lässt.
Zum Irakkrieg: Erler behauptet, die rot-grüne Bundesregierung unter Führung von Bundeskanzler Schröder verweigerte jede Beteiligung am Irakkrieg. Zwar hat sich die Bundeswehr nicht direkt an Kampfhandlungen im Irak beteiligt. Die Aufzählung der logistischen Unterstützungsmassnahmen der Bundesregierung für den US-Irakkrieg würde viele Seiten benötigen. Sie war ebenso evident wie vielseitig und umfangreich, ange-fangen mit den Überflugrechten für Langstreckenbomber, der Einbeziehung großer deutscher Flughäfen wie Frankfurt und Leipzig als Truppen und Kriegsgüterumschlag-plätze, weiter mit der Ausbildung und dem Kampftraining für US-Truppen auf Truppen-übungsplätzen vor allem in Süddeutschland, auf vielen kleineren Liegenschaften und in Kasernen, nicht zu reden von den Lazaretten und Armeekrankenhäusern in Deutschland, über die zig tausend Verwundete und traumatisierte US-Soldaten in ihre Heimat zurück geführt oder wieder in Einsatz geschickt wurden.
Außer Afghanistan gehören zu dem im Buch beschriebenen Praxistest für die „globale Friedensmission“ der Umgang mit dem iranischen Nuklearprogramm, die (quasi gar
nicht existierende) Nahostpolitik der Bundesregierung und der EU-Regierungen, und ambitionierte Projekte für Zentralasien, wo in den ehemaligen Sowjetrepubliken, Kasachstan, Turkmenistan, Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan gewaltige Bodenschätze ihrer Erschließung und Ausbeutung harren. „Es kommt in Zentralasien alles darauf an, wie man was macht“, sagt Erler, was wohl heißt, nach Möglichkeit ohne, wenn notwendig, mit Militäreinsatz. Außer für die USA, Russland und China soll auch Deutschland zusammen mit der EU Mitspieler werden beim „neuen Great Game“, wie es Erler nennt, um sich den Zugriff auf Bodenschätze und die Möglichkeit für die Eroberung und Festigung strategisch wichtiger Positionen zu sichern. Das Ganze wird von Erler im Kontext mit der Afghanistan-Mission gesehen. Wir meinen, so wie das Spiel begonnen hat, wird es ein gefährliches, wenn nicht gar tödliches Spiel werden. Wohin geht die „Mission Weltfrieden“?
Freiburg, 17. April 2009 aufgestellt: Horst Luppe